Im Gespräch mit Jens Franke über sein „HUNDERT TAGE“-Projekt

Hallo Jens, einige Leser kennen dich vielleicht schon von deinem Projekt “Lebensraum Eilenriede”, das mir auch schon sehr gut gefiel. Aber für alle anderen: Stell dich doch einfach kurz mal vor.

Meine Brötchen verdiene ich als freiberuflicher Senior Interactive Developer, Dozent und Autor. Die Fotografie bewahre ich mir seit knapp 10 Jahren als Hobby, dem ich mal mehr und mal weniger Zeit widmen kann.

Seit gut drei Jahren habe ich meine Kamera aber wieder fast täglich auf den Spaziergängen mit meinem Hund dabei. Das Resultat dieser intensiven Auseinandersetzung mit der Fotografie war im letzten Jahr das Kalenderprojekt “Lebensraum Eilenriede”, wo der Erlös einer Einrichtung im hannoverschen Stadtwald gespendet wurde.

Aus fotografischem Antrieb habe ich ansonsten bis dato Norwegen, Schweden, Island und Österreich zu Fuß, mit Ski und mit Kanu bereist.

Die klassischste aller Fragen darf natürlich nicht fehlen: Wie kamst du auf die Idee für das Projekt “HUNDERT TAGE – zu Fuß durch Deutschland mit Jens Franke”?

Der Ursprung der Idee war, dass ich mir nach 10 Jahren Arbeit einen längeren Urlaub gönnen wollte. Motiviert von einigen Weltenbummlern in meinem Freundeskreis schwebten mir auch erst ferne Länder oder der bekannte hohe Norden vor.

Als Dauer hatte ich initial an zwei oder drei Monate gedacht, aber das klang mir zu gewöhnlich. Da ich in meinem Leben immer probiere alles mit 100% zu machen, stand auf einmal die Zahl 100 im Raum und die fühlte sich sofort richtig an.

Aus den fernen Ländern wurde die Heimat Deutschland. Eine Heimat, von der ich vor allem im süddeutschen Raum wenige der landschaftlichen und kulinarischen Schätze, Geschichte und Brauchtümer kannte. Zudem gab mir Deutschland das Gefühl, dass die Anreise mit Hund deutlich leichter wird, er immer willkommen sein wird und auch seine Verpflegung kein Problem werden würde.

Hundert Tage sind ja recht lange. Wo hast du die Zeit hergenommen und wie finanziert sich so eine Reise?

Es bedurfte einiger Abstimmungen, um bei meinen drei Standbeinen einen Freiraum von 100 Tagen zu schaffen, aber am Ende war den Mut aufzubringen schwieriger als die eigentliche Umsetzung. Die Reise habe ich mir durch fleißiges sparen in den letzten zehn Jahren komplett selbst finanziert.

Wie weit im Vorfeld hast du angefangen zu planen, was gab es besonders zu beachten? Wie ist die Route entstanden und hattest du Hotels/Pensionen schon im Vorfeld gebucht?

Die Idee zu der Reise entstand im Sommer des letzten Jahres. Die Planung nahm zirka 8 Monate in Anspruch, wobei das Wort Planung ein wenig hochgestochen ist. Ich habe viele Dokumentationen über Deutschland (“Die Deutschen” und “Deutschland von oben“) gesehen, ich las klassische Literatur wie die Harzreise von Heinrich Heine, die Sozialstudie “Deutschland umsonst” von Michael Holzach, recherchierte in Bild- und Naturbüchern, wie “Wildes Deutschland” und “Deutschlands unberührte Naturparadiese” von Norbert Rosing, “Der deutsche Wald” von Detlev Arens und “Deutschlands Wälder” von Olaf Scholz und Peter Laufmann.

Die grobe Reiseroute nahm Form an, bestand aber eher noch aus Gebieten und weniger aus definierten Orten und Wegen. Die Detailplanung war Teil der eigentlichen Reise und ich plante immer für ca. eine Woche im voraus. Die anfängliche Naivität, dass man in den Ortschaften sicherlich immer eine Unterkunft finden würde, legte sich schnell. Mit Hund für eine Nacht bist Du nicht gerade die Wunschvorstellung eines Gastes. So probierte ich immer 3-4 Tage im Voraus eine Unterkunft für uns zu finden. Es war eine Mischung aus Berghütten, Pensionen, Hostels und schäbigen Hotels. Ein unglaublicher Einblick in die Welt der Brauntöne, die einen eigenen Pantonefächer verdient hätten.

Ist das Projekt für dich mehr ein Fotografieprojekt, in dem du Deutschland zeigen möchtest, oder ist die Fotografie eher ein Nebenprodukt der eigentlichen Reise?

Am besten lässt sich das Ziel der Reise mit dem norwegischen Begriff “Friluftsliv” zusammenfassen. Mir ging es in erster Linie um die Erholung im Freien. Ohne die Zwänge des Alltags und mit einer ordentlich Portion Ruhe die unbekannten Orte zu Fuß erkunden und zu erleben.

Im Vorfeld wußte ich nicht, ob ich Lust haben werde 100 Tage am Stück jeden Tag so viel Zeit der Fotografie zu widmen. Heute weiß ich, dass die Fotografie und das Schreiben des Reisetagebuchs ein wichtiges Vehikel für die tägliche Motivation und der Antrieb auf mehr als 43000 Höhenmetern und über 1200 Kilometer war.

Die Kombination aus Bild und Text kann ich nur jedem Reisenden empfehlen, weil sie wohl Gegenspieler als auch Verbündete sein können. Ich habe mir vorgenommen selbst auf kurzen Reisen in Zukunft ein Tagebuch in der Art zu führen, weil man so Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke besser ins Gedächtnis rufen kann.

Welches Fotoequipment hattest du dabei und hast du schon während der Reise Fotos bearbeitet, Texte geschrieben und online gestellt?

Das Werkzeug meiner Wahl war eine Leica M9 und Objektive im Brennweitenbereich von 25 bis 90mm. Kein Blitz, keine Filterpalette von Lee, kein Fernauslöser etc. – lediglich noch ein kleines Gorillapod als Stativ.

Als Schreibmaschine und zum Katalogisieren und Aufbereiten der Bilder hatte ich ein Macbook Air mit 11” im Rucksack. Um die Langsamkeit von Edge zu genießen, hatte ich ein iPhone4 und ein UTMS-Stick bei mir – das war kein Spaß.

Du bist nicht alleine gereist, sondern hattest deinen Hund Aiko dabei. Hast du dich trotzdem manchmal einsam gefühlt?

Ich habe mich keine Sekunde der Reise einsam gefühlt. Allein fühlte ich mich schon manchmal, aber das waren in der Regel auch positive Momente. Natürlich habe ich auch einmal morgens im dunklen Wald fremde Gestalten gesehen. ;)

Neben den körperlichen Anstrengungen und Erfahrungen war alleine Essen zu gehen eine der größten Erfahrungen für mich. Kein Gesprächspartner, keine Ablenkung. Nur Du und der Teller vor Dir. Es schulte den Gaumen, der oft gepeinigt, aber auch manchmal zauberhaft verführt und entzückt wurde. Vor allem in der gehobenen Gastronomie kann ich das Erlebnis sehr empfehlen.

Erzähl doch mal eine Anekdote von deiner Reise.

In der Regel ging ich mein Tempo und meinen Weg. Ich orientierte mich an Wegweisern und griff nur im Notfall zum GPS. An einem herrlichen Tag auf dem Maximilian-Weg in Bayern von Schloss Linderhof zur Kenzenhütte kam vor mir ein Mann auf den Weg. Für mich war klar, dass der Zwillingsbruder von Wolfgang Petry sicherlich das gleiche Ziel haben wird wie ich. So folgte ich nach gut 50 Tagen zum ersten Mal den Spuren eines anderen Wandersmann blind wie ein Lemming.

Nach gut 90 Minuten drehte sich Wolle um und kam auf mich zu. Als er mich fragte, wohin der Weg führen würde, lachte ich herzlich. Er lachte ebenso herzlich, als ich ihm mein Etappenziel sagte. Ich war komplett falsch. Ich hatte keine Lust zurück zu Los zu gehen und lies mich erneut auf den anderen Wandersmann ein. Er führte mich zu einer Bergkuppe und zeigte auf einen entfernten Bergsattel. Ich bedankte mich und war weitere 2,5 Stunden später wieder auf dem gewünschten Weg.

Das Projekt schreit natürlich nach einem Buch. Ist eines geplant? Ich wäre sehr interessiert. Auch eine Ausstellung könnte ich mir sehr gut vorstellen.

Wie oben schon geschrieben bin ich nicht mit dieser Prämisse gestartet. Nachdem ich tatsächlich die hundert Tage unterwegs war, ist heute mein Rucksack randvoll mit 8500 Bildern und vielen Geschichten unserer Heimat. Viele liebe E-Mails und Kommentare haben mich stark motiviert und seit zwei Wochen mache ich mich in Sachen Buch, Verlag und Exposé schlau.

Es ist absolutes Neuland für mich, aber auch deine Worte bekräftigen mein Vorhaben. Ich bin gespannt, was 2012 für das Projekt bringt, und sollte jemand fachkundiges diese Zeilen lesen, dann würde ich mich über einen Austausch sehr freuen.

Hast du schon ein nächstes Projekt in den Startlöchern?

Ich würde lügen, wenn ich auf der langen Reise nicht etliche Ideen gesammelt hätte. Die nächsten Monate gilt meine volle Aufmerksamkeit der Aufbereitung der Reise, die ich aktuell erst bei 50 Prozent sehe. Im neuen Jahr möchte ich auch endlich einmal eine Plattform für die Bilder der vergangenen Jahre finden.

Wenn du die Reise noch mal antreten würdest, würdest du irgendwas anders machen?

Ich kann voller Zufriedenheit sagen, dass ich nichts Grundlegendes verändern würde. Die Ausrüstung und die Verteilung im Rucksack perfektionierte sich auf der Reise, die Ausdauer und Kraft stieg von Tag zu Tag und die viele Zeit mit Aiko war ein Traum. Neben vielen Erfahrungen, Entdeckungen und Gesprächen bildeten die Besuche meiner Freundin und der lieben Freunde das Sahnehäubchen meiner Reise. Einen großen Beitrag zu der tollen Zeit hatte aber auch das traumhafte Wetter, das gefühlt fast immer an meiner Seite war.

Lediglich eine Sache würde ich auf einer der nächsten Touren gerne einmal probieren. Aiko zog durch sein Äußeres und den Rucksack zwar schon genug Blicke auf sich, aber zu gerne würde ich ihm eine kleine GoPro Hd Hero2 auf den Rücken schnallen, um seinen Blickwinkel auf die Umwelt zu erkunden. ;)

Vielen Dank, Jens. Ich kann es nur noch ein mal sagen: Ein wirkliche tolles Projekt von der Idee über die Webseite bis hin zu den Fotos.

Lieben Dank für die Vorstellung in deinem immer lesenswerten und persönlichen Blog. Ich wünsche Euch viel Erfolg für Quote.fm, auf das ich mich schon sehr freue!